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Hearts of Darkness - Kolonialismus und NS-Herrschaft

In seiner Novelle Heart of Darkness hatte Joseph Conrad um 1900 eine Metapher für die Abgründe der Kolonialgewalt geprägt, die Kritik, Kino und Realität seither durch die Jahrhunderte und um die ganze Welt getrieben haben. Liest man den Text nicht als Beschreibung Afrikas, sondern als Porträt europäischer Kolonialisten, verblüfft der Text bis heute als eindringliche Erfassung der Grundelemente kolonialer Selbstüberhebung, Eroberung, Ausbeutung, Zerstörung und Selbstzerstörung, die über Jahrhunderte stabil geblieben sind. Zwei Entwicklungen der letzten zwanzig Jahre haben Conrads Metaphern neu belebt: zum einen das stark gesteigerte Interesse an der europäischen Kolonialgeschichte und ihren Langzeitfolgen. Zweitens die komplexe Frage, wie die lange Herrschafts- und Gewaltgeschichte des europäischen Kolonialismus mit der kurzen NS-Herrschaft über Europa in Verbindung zu setzen sei. Die Frage, inwiefern das nationalsozialistische Imperium der Zerstörung inklusive des Holocausts als Teil der europäischen Kolonialgeschichte zu verstehen ist.

Tatsächlich ist die Reihe der Parallelen zwischen kolonialen Gewaltregimen, der NS-Herrschaft und ihren Zukunftsplänen so lang wie frappierend. Dazu gehören neben rassistischen Ordnungsprinzipien, die Gewaltbiographien vieler Akteure, die Bedeutung der Kollaboration, der Schaffung unterschiedlicher Rechtsregime, der Partisanenkriege, die Rolle von Distanz, Geheimnis und Tarnsprache, die Lager und die Vernichtung ganzer Bevölkerungsgruppen. Entlang des Leitbegriffs der Sondererfahrungszonen sucht das Buch eine erzählerische und analytische Annäherung an Wahrnehmungen, Erfahrungen und Taten in kolonialen Räumen, die außerhalb dieser Zonen undenkbar gewesen wären. Je weiter die empirisch fundierten Vergleiche fortschreiten, desto deutlicher werden jedoch auch die Grenzen dieser Parallelisierung. Im Hinblick auf die Ermordung der europäischen Juden und andere Aspekte der nationalsozialistischen Mordpolitik sollen jene Punkte präziser bestimmt werden, an denen die Vernichtungspolitik im besetzten Europa aus den kolonialen Traditionen ausschert und sich in diese nicht mehr sinnvoll einordnen lässt.

Zu den Parallelen zwischen diesen Gewaltkomplexen gehört schließlich alles, was im Nachgang über sie (nicht) gesagt und erzählt wird. Der letzte Teil des Buches widmet sich deshalb dem Komplex der sogenannten „Erinnerung“ – ein Begriff, der immer häufiger verwendet wird, wenn politische Deutungen, Geschichtspolitik und der Einsatz historischer Vergleiche als politische Waffe gemeint sind. Historische Darstellung, historische Vergleiche und politische Deutungsdebatten sind drei verschiedene Felder, die einander berühren, aber nicht identisch sind. Der Fokus der Studie liegt auf der empirischen Suche nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden in gewaltsam erschaffenen Sondererfahrungszonen. Die Analyse der politischen Einsatzmöglichkeiten historischer Vergleiche wird hier als separates Feld betrachtet, in das die historische Forschung immer stärker hineingezogen, und das die Deutungs-Debatten über eine Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts auf sehr lange Zeit prägen wird.

 

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