Den 75. Geburtstag zu feiern, heißt Freunde einladen und gemeinsam auf die vergangene Zeit zurückblicken. Genau in diesem Sinne veranstaltete das Institut für Deutsches und Internationales Parteienrecht und Parteienforschung (PRUF) am 22. Mai 2024, dem Vorabend des Verkündungstags des Grundgesetzes, die Podiumsdiskussion „Demokratie ohne Demokraten? Zur Widerstandsfähigkeit des Grundgesetzes anlässlich seines 75-jährigen Bestehens“.
Im Haus der Universität blickten Dr. Heike Merten (Geschäftsführerin des PRUF), Aden Sorge (PRUF), Prof. Dr. Stefan Marschall (HHU) und Friedrich Zillessen (Verfassungsblog) gemeinsam auf das Grundgesetz nach 75 Jahren und diskutierten mit Bürgerinnen und Bürgern über seine Resilienz angesichts wachsender Angriffe auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Henning Rasche (Rheinische Post) moderierte das Gespräch.
Dr. Merten stellte fest, dass das Grundgesetz an sich nur ein Stück Papier ist, wenngleich ein sehr gut geschriebenes. Das Wesentliche ist nicht der Text, sondern wie der Text gelebt wird. Hierzu stellte sie den historischen Kontext des Grundgesetzes dar: Als das Grundgesetz verabschiedet wurde, war es ein großes Versprechen. Eine Rückkehr von der Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus hin zu einer demokratischen und inklusiven Lebensweise. Nachdem sie auf Nachfrage aus dem zahlreich erschienenen Publikum den Kontext eines Parteiverbots als Instrument der wehrhaften Demokratie erläuterte, stellte sie fest, dass ein Parteiverbotsverfahren keine „schnelle“ Lösung bietet. Neben der langen Dauer eines Verbotsverfahrens bestehe auch das Problem, dass die Gesinnung durch ein Verbot nicht verschwindet, sondern in den Untergrund wandere.
Aden Sorge zeigte sich glücklich über die Podiumsdiskussion, aber auch jenseits von Jubiläen sollte wieder engagiert über das Grundgesetz gesprochen werden. Für ihn sei das Grundgesetz im Vergleich zu 1949 längst kein Versprechen mehr, sondern gelebte Realität, die sich im Verlauf der letzten Jahrzehnte als standhaft bewiesen hat. Damit dies auch zukünftig so bleibe, brauche es demokratischen Einsatz von allen. Eine Schlüsselrolle komme der politischen Bildung zu. Entscheidend sei, dafür zu sensibilisieren, dass es nicht selbstverständlich ist, in einer Demokratie zu leben. Das heißt, wieder zu lernen, sein Gegenüber „auszuhalten“ und den Anderen ernst zu nehmen, ganz egal für wie abwegig oder nervig eine Position gehalten wird – solange sie demokratisch ist. Das gehöre zu einer Demokratie.
Prof. Dr. Marschall wies jegliche Vergleiche zwischen der heutigen Situation und der Weimarer Zeit zurück: Das Grundgesetz genieße anders als die Weimarer Reichsverfassung hohes Ansehen. Über 90 % der Deutschen wären bereit, ihre Verfassung zu verteidigen. In der Akzeptanz des Grundgesetzes seien deutliche Unterschiede zwischen einzelnen Einkommensgruppen, aber auch zwischen den Bürgerinnen und Bürgern der ost- und westdeutschen Bundesländer erkennbar. Um die Akzeptanzkluft zu schließen, müsse man auf die Menschen zugehen, die sich nicht repräsentiert fühlen. Dies müsste berücksichtigt werden, wenn das politische System „wetterfest“ gemacht werden soll, um zu verhindern, dass antidemokratische Kräfte den Staat unterminieren. Denn Demokratie sei keine Mehrheitsdiktatur, sondern gewähre auch Rechtsstaatlichkeit und Minderheitenschutz.
Zillessen betonte, das Grundgesetzjubiläum gebe Anlass zu reflektieren. In diesem Kontext ist das „Thüringen Projekt“ zu sehen, in dem das Team des Verfassungsblogs eine Art Schwachstellentest der Demokratie durchführt, um die Fragilität der freiheitlich-demokratischen Grundordnung in das Bewusstsein der handelnden politischen Akteure zu rufen. Ausgangspunkt ist die Frage, was passieren würde, wenn autoritäre Populisten versuchen würden, den Freistaat Thüringen zu übernehmen.
Heutzutage würden Demokratien nämlich nicht durch Gewalt, sondern durch die Mittel des Rechts abgeschafft. Auch wenn eine Demokratie nie zu 100 % „wasserdicht“ ist, konnte das Team des Verfassungsblogs Handlungsempfehlungen herausarbeiten, die an den Thüringer Landtag übergeben wurden, die u. a. die Abschaffung mancher politischen Beamten, eine klare Regelung zum Mehrheitserfordernis im dritten Wahlgang bei der Ministerpräsidentenwahl sowie die verfassungsrechtliche Absicherung des Verfassungsgerichtshofs beinhalten.
Das Institut für Deutsches und Internationales Parteienrecht und Parteienforschung blickt auf eine gelungene Veranstaltung zurück. Besonderer Dank gebührt nicht nur den Diskutierenden und dem Publikum, sondern auch der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf für das Mitführen der Veranstaltung im Programm der „Bürgeruniversität“.