1. Das Forschungsprojekt
Das Ende vom Ende der Ideologien?
Ideologische Polarisierung in den USA im Kontext westeuropäischer Entideologisierungsprozesse
In der populären Zeitdiagnostik und in vielen sozialwissenschaftlichen Debatten hat die Rede vom „Ende der Ideologien“ und vom „postideologischen Zeitalter“ abermals Hochkonjunktur. Als Indikatoren gelten vor allem die programmatische Konvergenz zwischen den etablierten Parteien, das Abschmelzen ehemals loyaler Parteibindungen sowie die generelle Abwendung der Bürger von der Politik. Harmonisch auf den Abgesang der alten Weltanschauungsparteien gesellen sich diverse Individualisierungs- und Modernisierungstheorien, die die Loslösung des Individuums aus sinnstiftenden sozialen Formationen und tradierten Rollenmustern verkünden. Diese Entwicklungen lassen es in der Tat geboten erscheinen, die populäre Parole vom „Ende der Ideologien“ wissenschaftlich Ernst zu nehmen.
Andererseits gibt es aber unter den entwickelten Demokratien des Westens einen abweichenden Fall an dem sich das Diktum von der zwangsläufigen Entideologisierung (post)moderner Gesellschaften eindrucksvoll widerlegt. Dieser Sonderfall sind die Vereinigten Staaten von Amerika. Dort haben sich die Parteiidentifikationen der Wähler spürbar verstärkt, die programmatischen Unterschiede zwischen den Parteien sind signifikant gewachsen und es ordnen sich immer mehr US-Bürger eindeutig einem der beiden politischen Pole zu. Und statt der in Europa anzutreffenden Klagen über eine weltanschaulich entkernte Politik, die keine wirklichen Alternativen mehr bietet, sorgen sich amerikanische Intellektuelle um die Konsens- und Regierungsfähigkeit eines ideologisch tief gespaltenen Landes.
Die zentrale Frage des Forschungsvorhabens lautet daher: Warum folgen die USA nicht dem von vielen prognostizierten Entwicklungspfad? Die Hypothese lautet, dass es zu einem Prozess gekommen ist, den man als „paradoxe Individualisierung“ bezeichnen könnte: Gerade jene Modernisierungsfaktoren, die gemeinhin als Katalysatoren des Erosionsprozesses weltanschaulicher Abgrenzung gelten (Expansion der Massenmeiden; geographische Mobilität), haben in den USA zur einer neuartigen ideologischen Segmentierung beigetragen, durch die geschlossene Lebenswelten entstanden, die kaum noch miteinander kommunizieren und deren Konstruktionen sozialer Wirklichkeit daher inkompatibel sind – die perfekte und klassische Voraussetzung für die Entstehung ideologischer Polarisierung.
Dieser Weg der Spaltung der USA in ein „konservatives“ und ein „liberales Amerika“ soll also nachgezeichnet werden, damit zugleich jedoch eine neue, andere Perspektive auf den Zusammenhang von Modernisierung/Individualisierung und Entideologisierung geworfen werden.
Förderung: VolkswagenStiftung (Schumpeter-Fellowship)
Fördersumme: € 531.000
Laufzeit: 2009-2014
Leitung:
Das Projekt in den Medien:
Torben Lütjen, Ein tief gespaltenes Land, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.01.2010.